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„Aufschieberitis ist keine Faulheit“

Wir alle kennen das: Die To-do-Liste wächst – und trotzdem fangen wir einfach nicht an. Prokrastination, das ständige Aufschieben von Aufgaben, hat mit Faulheit meist wenig zu tun. Dr. Nina Elberich, Psychologin und Expertin für das Employee Assistance Program (EAP) bei BG prevent, erklärt, warum unser Kopf dabei oft gute Gründe hat und wie wir wieder ins Handeln kommen. 

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Nachdenklicher Mann mit Brille und rotem Hemd stützt das Kinn mit der Hand ab und blickt konzentriert nach vorn.

Was ist Prokrastination genau – und wie unterscheidet sie sich davon, einfach mal keine Lust zu haben?

Dr. Nina Elberich: „Einfach mal keine Lust zu haben“ ist nichts Schlechtes. Wer bewusst entscheidet, heute nichts zu tun, gönnt sich Erholung und lädt Energie auf.

Bei Prokrastination läuft das anders. Wir schieben Aufgaben systematisch vor uns her, obwohl wir wissen, dass sie wichtig sind. Der Unterschied: Wir entspannen dabei nicht wirklich. Der Druck bleibt, wächst sogar – und mit ihm das schlechte Gewissen. Wir denken: Schon wieder nichts geschafft.

Welche psychischen Gründe stecken häufig dahinter?

Dr. Nina Elberich: Faulheit ist selten der Grund. Oft sind es Perfektionismus oder die Angst zu scheitern, die uns blockieren. Manche wissen gar nicht, wie sie anfangen sollen. Andere stellen sich schon im Voraus vor, zu versagen oder kritisiert zu werden. Dieses unangenehme Gefühl wollen wir vermeiden – also schieben wir die Aufgabe auf, um es kurzfristig loszuwerden.

Wie wirkt sich ständiges Aufschieben auf die seelische Gesundheit aus?

Dr. Nina Elberich: Wer ohnehin erschöpft ist, hat oft keine Energie mehr für schwierige Aufgaben. Dementsprechend erfüllt Prokrastination kurzfristig seinen Zweck. Zum einen werden ohnehin schon knappe Ressourcen geschont. Zum anderen müssen unangenehme Gefühle, die oftmals mit schwierigen Aufgaben einhergehen, nicht ausgehalten werden. Somit fungiert Aufschieben als eine Art Selbstschutz. Doch der Effekt ist leider nicht nachhaltig und langfristig gesehen eher schädlich: Der Druck wächst, die Selbstvorwürfe nehmen zu. Viele halten sich für unfähig oder faul – und geraten in einen Kreislauf aus Stress, Schuld und Scham. Auf Dauer belastet das massiv die Psyche.

Studien zeigen, dass Menschen, die häufig prokrastinieren, deutlich mehr Stresssymptome, Schlafprobleme und depressive Verstimmungen haben als andere. Eine Auswertung der Techniker Krankenkasse bestätigt das: Rund 30 Prozent der Beschäftigten berichten, regelmäßig unter Aufschiebeverhalten zu leiden – oft verbunden mit Erschöpfung oder innerer Anspannung.

Warum ist es falsch, Prokrastination als Willensschwäche zu sehen?

Dr. Nina Elberich: Der Satz „Reiß dich doch mal zusammen“ ist falsch. Er schadet eher, als dass er hilft. Prokrastination ist ein Zusammenspiel aus komplexen psychischen Mechanismen wie kurzfristiger Stressbewältigung und Selbstschutz oder auch einfach fehlender Energie oder der mangelnden Fähigkeit, Aufgaben zu strukturieren. Es ist also mehr ein Bewältigungsmechanismus als ein Zeichen von Faulheit oder Willensschwäche.

Wer das Verhalten als Schwäche deutet, erzeugt zusätzlichen Druck. Betroffene fühlen sich noch schuldiger und kommen erst recht nicht ins Handeln. Außerdem werden hilfreiche Strategien zur Veränderung ausgeblendet, wenn die psychischen Prozesse hinter dem Prokrastinieren ignoriert werden.

Wie lässt sich der Kreislauf aus Aufschieben und Schuldgefühlen durchbrechen?

Dr. Nina Elberich: Der wichtigste Schritt ist, klein anzufangen. Statt auf den großen Motivationsschub zu warten, lieber sagen: „Ich arbeite fünf Minuten an dieser Aufgabe.“ Das wirkt oft besser, als man denkt. Hilfreich sind auch Wenn-dann-Regeln: „Wenn es 16 Uhr ist, arbeite ich zehn Minuten – und danach mache ich eine Pause.“ Das gibt einem das Gefühl von Kontrolle zurück. Diese kleinen Fortschritte darf man natürlich auch würdigen und sich darüber freuen. Das senkt die Hürde und hilft, wieder ins Tun zu kommen.

Und wer merkt, dass das Aufschieben das Leben stark beeinträchtigt – etwa durch verpasste Deadlines oder ausgefallene Prüfungen –, sollte sich nicht davor scheuen, sich professionelle Unterstützung zu holen. In diesem Rahmen lässt sich erörtern, welche psychischen Muster dahinterstecken und wie man mit belastenden Gefühlen besser umgeht.

Wer sich in diesen Beschreibungen wiedererkennt, steht damit nicht allein. Prokrastination ist weit verbreitet – und oft ein Zeichen dafür, dass Körper und Geist überlastet sind.

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